Eine Wartelinie empfiehlt dem aus einer untergeordneten Straße kommenden Verkehr, an der durch die Linie markierten Stelle zu warten und Vorfahrt zu gewähren. Auf der der untergeordneten Straße zugewandten Seite der Wartelinie besteht dagegen kein Vorfahrtsrecht des vorfahrtsberechtigten Verkehrs.
Diese Klarstellung traf das Amtsgericht (AG) Lemgo, dass über die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zu entscheiden hatte. Ein auf der vorfahrtberechtigten Straße fahrender Linienbus wollte in eine direkt nach der Kreuzung liegende Bushaltestellenbucht einbiegen. Dabei überfuhr er im Kreuzungsbereich die Haltelinie der untergeordneten Straße um ca. 90 cm. Es kam zum Zusammenstoß mit einem Pkw, der sich in der untergeordneten Straße der Haltelinie näherte.
Zur Überzeugung des Gerichts ist der Verkehrsunfall jeweils zur Hälfte durch die beiden Beteiligten verursacht worden. Die Verursachungsbeiträge seien danach zu bemessen, inwieweit der Betrieb der Fahrzeuge in der konkreten Unfallsituation im Einklang oder im Widerspruch zu den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften gestanden habe. Grundsätzlich sei dabei von gleichwertigen betriebsbedingten Verursachungsbeteiligungen auszugehen. Je nach Anzahl und Gewicht der jeweiligen Verkehrsverstöße variiere auch der Anteil der beteiligten Fahrzeuge an der Verursachung eines Unfalls. Vorliegend habe der Busfahrer gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen und dadurch die Betriebsgefahr des Busses erhöht. Er hätte die Haltelinie nicht überfahren dürfen. Zum einen habe er auf der der untergeordneten Straße zugewandten Seite der Linie kein Vorfahrtsrecht. Zum anderen hätte er mit dem Herannahen von Querverkehr rechnen und seine Fahrweise daran anpassen müssen. Demgegenüber habe der Pkw-Fahrer seinen Wagen noch in einer Vorwärtsbewegung gesteuert, als der Bus vor ihm in die Bushaltebucht einlenkte und ihn dabei bereits auf einer Länge von etwa 15 Metern passiert hatte. Der Pkw-Fahrer hätte früher abbremsen müssen, da der Bus rechtzeitig sichtbar gewesen sei. Damit seien die Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten gleich groß (AG Lemgo, 18 C 95/11).